Nanosilber gegen Plüschmonster!

Wie wirkt Nanosilber auf Zellen?
Und kann man eine medizinische Anwendung bauen,
die zwischen Bakterien und Körperzellen unterscheiden kann?

Das zeige ich heute mit plüschiger Unterstützung im Nanoversum …

Das Thema Nanosilber ist überaus komplex. Es gibt hunderte wissenschaftliche Arbeiten, die jedes Jahr veröffentlicht werden und selbst für Forscher ist es schwierig den Überblick zu behalten. Einen Einstieg in das Thema findet ihr hier.
Heute möchte ich eine Anwendung vorstellen, die Nanosilber (also Nanocluster aus Silber) enthält und einen medizinischen Effekt und Nutzen hat. Es handelt sich dabei um ein Funktionsmaterial aus Silber und Titandioxid, dass ich bereits hier vorgestellt habe.

Das Wirkprinzip der Anwendung habe ich anhand von bestimmten menschlichen Gewebezellen (Fibroblasten) und in der Wissenschaft häufig verwendeten Bakterien (E. coli) erprobt. Es sind Zellen, die durch ihren unterschiedlichen Aufbau auch unterschiedlich auf Nanosilber reagieren.
Und um es etwas anschaulicher zu gestalten, stelle ich die Zellen mit diesen Plüschfreunden dar:

Plüsch-Mikroben

Auf der linken Seite eine Gewebezelle und rechts das gemeine E. coli Bakterium.

(Mittlerweile haben die Plüschtiere ihren Weg in Kinderhände gefunden, was dazu führte, dass nun Sätze fallen wie:
„Könntest Du bitte die Bakterien vom Küchentisch entfernen?!“ oder „oh, das sieht aber nach einer großen Infektion aus!“
Nur die die Aluminiumkügelchen, die ich als Silber-Nanocluster benutzt habe, mussten nach den Arbeiten an dem Beitrag entfernt werden, da sie mir zu oft mit den Ruf „Nanoangriff!“ um die Ohren flogen 😉 )

 

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Der Beitrag gliedert sich in folgende Teile:

  1. Funktionsweise Silber
    • Was wirkt bei Silber?
    • Warum wirken Silberionen antimikrobiell?
    • Warum sollten Silberionen in Zellen eindringen wollen?
    • Warum sind tierische bzw. menschliche Zellen unempfindlicher gegenüber Silberionen?
  2. Technischer Exkurs
    • Ein Keramikschwamm als Silberspeicher
    • Gesteuerte Silberfreigabe
    • Parameter
  3. Smartes Nanosilber im Einsatz
    • Bakterientötung durch stoffwechselgesteuerte Silberfreigabe
    • Wo wäre das Einsatzgebiet?

 

Ich werde es im Folgenden vermeiden, mit Fachbegriffen um mich zu werfen.
Die genauen Abläufe mit all ihren Begriffen sind in meiner Veröffentlichung beschrieben,
die ich unten verlinkt habe.

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I. Funktionsweise Silber

Was wirkt bei Silber?

In Teil 7: „Antimikrobielles Nanosilber. Ein Einstieg“ bin ich auf die Wirkung von Silber eingegangen und habe einige Anwendungen vorgestellt. Zusammengefasst kann man sagen, dass es genaugenommen die Silberionen (einzelne geladene Silberatome) sind, die antimikrobiell wirken.

Silberionen lösen sich von Silber ab, sobald es in eine Flüssigkeit gelegt wird. Es sind zwar nur winzigste Mengen, aber oberflächennah reichen diese, um Mikroben und insbesondere Bakterien abzutöten.

Warum wirken Silberionen antimikrobiell?

Silberionen sind einzelne Atome und können die Zellmembran durchdringen. Dadurch können sie innerhalb der Zelle Schaden anrichten. Werfen wir nun also einen Blick in unsere Bakterie:

Bild1

Innerhalb der Zelle gibt es viele Funktionsbereiche und Bestandteile. Wichtig sind für uns in diesem Zusammenhang nur zwei, die von Silberionen durch ihre chemische Zusammensetzung bevorzugt angegriffen werden:

  • die Ribosomen: sie sind für die Protein-Herstellung in der Zelle zuständig. Sie wird zum Kopieren der DNA benötigt und kommen in allen Lebewesen vor.
    Hängen sich Silberionen an die Ribosome, werden diese inaktiv.
  • Bakterienchromosom: Das Erbgut der Bakterie, das frei in der Zelle schwimmt.
    Hängen sich Silberionen an die DNA, erhält diese Fehlstellen und verklumpt.

In beiden Fällen, kann sich die Bakterie nicht mehr teilen und geht ein.

Warum sollten Silberionen in Zellen eindringen wollen?

Chemische Reaktionen und Gleichgewichte lassen sich über verschiedene Reize steuern.
Bei Silber ist vor allem der pH-Wert wichtig: Von einem Stück Silber, das in eine Flüssigkeit gelegt wird, lösen sich je nach pH-Wert immer einige Silberionen ab. Je saurer (niedriger pH-Wert) die Flüssigkeit ist, desto mehr Silberionen; und wenn es basischer wird (hoher pH-Wert) kann sich der Effekt auch wieder umkehren, sodass die Silberionen wieder zusammen klumpen.

Betrachten wir nun eine Zelle, so kann diese als ein kleines chemisches Kraftwerk bezeichnet werden. Sie nimmt Rohstoffe auf, verwertet sie und scheidet die Reste wieder aus. Diese Rückstände sind sauer, sodass in der Umgebung einer Zelle der pH-Wert abgesenkt wird.
Gelöste Silberionen „sehen“ dieses lokale Gefälle und werden dort hingezogen. Die Ionen diffundieren in die Zelle (hier ist der Säuregehalt entsprechend noch höher) und suchen sich dort einen passenden Platz (meist freie Radikale oder Doppelbindungen) und binden sich chemisch an.

Je aktiver eine Zelle ist (Stoffwechsel und Teilungsrate), desto stärker wird der pH-Wert lokal abgesenkt und desto stärker werden Silberionen angezogen.

Silber wirkt nicht gegen Viren

Viren haben keinen eigenen Stoffwechsel, sondern sind lediglich „Erbgutkapseln“. Und da sie sich nicht durch einen erniedrigten pH-Wert bemerkbar machen, sind sie für die Silberionen unsichtbar.

Warum sind tierische bzw. menschliche Zellen unempfindlicher gegenüber Silberionen?

Drei Faktoren sind entscheidend dafür, dass tierische Zellen, wie unsere Gewebezelle hier, unempfindlicher gegenüber den beschriebenen Silberionen-Effekte sind. Wir betrachten wieder nur die Ribosomen und die DNA.

Bild2

  • Tierische Zellen sind „ruhiger“. Im Gegensatz zu Bakterien haben tierische Zellen einen deutlichen geringeren Stoffwechsel. Dadurch ist die pH-Wert-Absenkung auch wesentlich schwächer.
  • Der Zellkern schützt die DNA. Im Gegensatz zu Bakterien, ist das Erbgut unserer Zellen durch einen Zellkern geschützt.
  • Bessere Reparaturmechanismen. Tierische Zellen sind weiter entwickelt und können geschädigte Ribosomen besser und wirkungsvoller ersetzen.

Das soll nicht heißen, dass Silberionen nicht trotzdem Zellen schädigen können. Die Dosis macht’s!
Und wenn kein großes Säuregefälle zu finden ist, dann reagieren die Ionen auch auf ein kleines. Somit kann, wenn die Dosis hoch genug ist, eine Zellschädigung über eine längere Zeit auftreten.

Für eine medizinische Anwendung ist es somit entscheidend, den Silberionen eine „Ruheposition“ anzubieten, wenn sie nicht gebraucht werden.

Und so kommen wir schließlich zu den Funktionsmaterialien.

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II. Technischer Exkurs

Es folgen drei technische Absätze. die recht theoretisch sind.
Im Zweifelsfall zu den Plüschzellen weiterscrollen 😉

Ein Keramikschwamm als Silberspeicher

Beim letzten Mal habe ich die Herstellung von Funktionsmaterialien beschrieben.
Es handelt sich hier um eine dünne Schicht aus Titandioxid (grün), in das Nanosilber (grau) eingebettet wurde.

Titan ist ein Metall, aus dem vor allem Implantate hergestellt werden. Es bildet an der Oberfläche mit Sauerstoff Titanoxid, das für Organismen vollkommen unbedenklich ist. Körperzellen können sogar gut an der Titandioxid-Oberfläche anwachsen, was für ein Implantat natürlich unerlässlich ist.

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 In diese Titandioxid-Schicht ist, wie bereits gesagt, Silber eingebettet worden. (eine Erläuterung zu dem Bild findet ihr hier)

Gesteuerte Silberfreigabe

releaseDieses Mischmaterial oder auch Komposit hat die Eigenschaft, dass es in Flüssigkeit mit der Zeit Silber in Form von Silberionen freigibt. Die Mechanismen sind überaus komplex, sodass ich diese hier nicht weiter vorstellen werde. Entscheidend ist, dass diese Freigabe durch verschiedene Faktoren manipuliert werden kann:

  • Menge des eingebetteten Silbers
  • Licht
  • Zusammensetzung der Flüssigkeit (insbesondere pH-Wert)
  • Größe der Nanocluster (größere Cluster sind z.B. etwas säurebeständiger als kleinere Cluster)

Andersherum können die Silberionen auch wieder zu Silber „zusammenklumpen“, wenn z.B. der pH-Wert steigt. Dabei suchen sich die Silberionen Plätze, an denen bereits Silber vorhanden ist, und lagern sich dort an.

Durch die Kombination der variablen Eigenschaften von Nanosilber kann die Funktionsschicht auf die jeweilige Anwendung angepasst werden.
So wird es möglich, durch das geschickte Einbauen verschieden großer Nanocluster in verschiedenen Tiefen des Komposits, die Dosis, die über eine bestimmte Zeit freigegeben werden soll, zu steuern. Und die Silberionen, wenn sie nicht gebraucht werden, wieder zur Funktionsschicht zurückzuholen.

Parameter

Jetzt können wir das Funktionsmaterial so einstellen, dass beim pH-Wert von Körperzellen keine bzw. nur eine minimale Silberfreigabe stattfindet.
Das Komposit ist knapp 100 nm stark (ein zehntausendstel Millimeter) und besteht aus weniger als 10% Silber.
(Damit Körperzellen geschädigt werden, müssten es knapp 30% Silber sein.)
Die Nanocluster innerhalb des Materials haben nur eine Größe von wenigen Nanometern und es gibt an der in der Nähe der Oberfläche eine Schicht mit Nanoclustern, die etwa 20 Nanometer groß sind. Diese größeren Cluster regulieren zum einen die Silberionen-Freigabe und zum anderen „fangen“ sie Silberionen bei einem steigenden pH-Wert wieder ein, da sie dann als Keimzellen dienen.

 

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III. Smartes Nanosilber im Einsatz

Kommen wir nun zu der Frage, was passiert, wenn sich Gewebezellen und Bakterien auf diese Oberfläche legen.

Bakterientötung durch stoffwechselgesteuerte Silberfreigabe

Um die Abläufe zu verdeutlichen, habe ich mit einigen Hilfsmitteln, das Szenario nachgestellt:

nano-angriff

 Das grüne Tischtuch stellt unser Titandioxid dar, in das die Alu-Kügelchen das Nanosilber eingebettet ist (der Maßstab ist nicht ganz korrekt 😉 ).

Was direkt auffällt, sind die vielen kleinen Pünktchen (Silberionen), die die Bakterien umhüllen. Dagegen findet man bei den Gewebezellen nur vereinzelte Silberionen (und diese reichen nicht aus, um die Gewebezellen zu beeinträchtigen).

Bakterien haben, wie bereits erwähnt, einen höheren Stoffwechsel als Körperzellen; dementsprechend wird ihre Umgebung auch stärker übersäuert (geringer pH-Wert). Und das führt direkt dazu, dass die Silber-Nanocluster stärker aufgelöst werden und vermehrt Silberionen freigesetzt werden. Die Silberionen wiederum werden von der Säurequelle, den Bakterien, angezogen und töten diese ab.

Das Funktionsmaterial „spürt“ förmlich die Anwesenheit der Infektion und wird aktiv. Nachdem die Bakterien abgetötet wurden, steigt der pH-Wert wieder auf seinen Normalwert, sodass die Silberionen einen chemischen Gleichgewichtszustand suchen und sich wieder an der Oberfläche des Funktionsmaterials anlagern und inaktiv werden.

Wo wäre das Einsatzgebiet?

Dieses Material eignet sich, um Titanimplantate zu beschichten.
Bis so ein Implantat vollständig einwächst, besteht immer die Gefahr, dass sich eine Infektion bildet. Für diesen Fall kann die Schicht aktiv die Infektion bekämpfen. Und für den Fall, dass es zu keiner Infektion kommt, bleibt sie inaktiv. Vor allem Zahnimplantate oder Knieprotesen würden profitieren, da hier das infektionsrisiko besonders hoch ist.

 

Die Ergebnisse, die ich hier vorgestellt habe, sind aus einer interdisziplinären Kooperation von Materialwissenschaftlern, Medizinern und Toxikologen entstanden.
Ein solches Material, dass „bei Bedarf“ aktiv wird und gezielt bestimmte Eigenschaften einsetzen kann, wird in der Wissenschaft gerne auch als „Smart Material“ bezeichnet. 

 


Quelle:
Hrkac, T. et al. (2013). Huge increase of therapeutic window at a bioactive silver/titania nanocomposite coating surface compared to solution Materials Science and Engineering: C, 33 (4), 2367-2375 DOI: 10.1016/j.msec.2013.01.069
ResearchBlogging.org

 

 

 

Die Plüschmikroben habe ich hier gefunden:

(Vielleicht schreibe ich mal wieder etwas über die Grippe oder über das Gehirn,
dann hätte ich eine Ausrede, den Zoo aus Plüschzellen zu erweitern 😉 )

 

10 Kommentare

  1. Auf jeden Fall ein dicker, fetter Artikel, der ganz beachtenswert ist, wie Ihr Kommentatorenfreund findet.
    Besten Dank!

    MFG
    Dr. W (der sich von der Materialforschung und von „nano“ einiges verspricht)

    • Danke für die netten Worte 🙂

      Das mit dem anderen Laden stimmt natürlich, aber bei dem von mir erwähnten
      konnte ich mir gleich ein Nerd-Paket mit anderem Spielkram zusammenstellen 🙂

  2. Super Artikel, sehr anschaulich!!

    Aber: „die Ribosomen: sie sind für die Protein-Herstellung in der Zelle zuständig. Sie kopieren die DNA und kommen in allen Lebewesen vor.“
    Ribosomen kopieren keine DNA. Das tut nur DNA Polymerase

  3. In Wohnmobilforen tobt immer wieder der Streit, ob und wie man das Wasser im Vorratstank keimfrei hält.
    Silberschwämmschen sind der neueste Trend.
    Was meint der Experte dazu?
    Hält:
    http://www.amazon.de/WM-aquatec-Wasserkonservierung-Silvertex-System-Frischwassertanks/dp/B0071JXKZ0/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1412541903&sr=8-1&keywords=silvertex
    was es verspricht? Reicht so was für 100 l Wasser, wenn ja wie lange? Der ph Wert des Wassers ist doch eher neutral, löst sich das Silber ausreichend?
    Beteht die Gefahr der Resistenzbildung?
    Es wird behauptet Silberionen seien evtl. gesundheitlich bedenklich. Was ist Ihre Meinung?
    Danke
    Gruß
    M

    • Ich werde mir das mal in Ruhe durchlesen und dann etwas dazu schreiben.
      Aber beim ersten Überfliegen habe ich gelesen, dass das Sieb auch gegen Viren helfen soll. Das kann es ganz bestimmt nicht.

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  1. Nanoversum – 101 – Chevoja

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